Ein Lebensabschnitt neigt sich dem Ende zu…
Ein Jahr Freiwilligendienst in Costa Rica
Liebe
Familie, Freude, Bekannte, Unterstützer, ICJA-Angestellte und Interessierte,
es
ist der 31.Juli 2014; ein paar Stunden noch und es wird August sein. Der Monat,
dem ich seit langem mit gemischten Gefühlen gegenüber stehe. Einerseits
zeigt sich Vorfreude; Vorfreude auf ein
Wiedersehen, auf altbekanntes Terrain, Mama’s Essen, saubere Straßen und ein
bisschen auch auf das deutsche Organisationstalent. Aber welche Gefühle mich
eher mehr einnehmen sind Angst, Ungewissheit vor der neuen, kommenden Zeit und
eine tiefe Traurigkeit, die darauf beruht, mir so wichtig Gewordenes
zurücklassen zu müssen.
Fast
nun schon ein Jahr spielt sich mein Leben in einem vielen von euch fremden
Zipfel der Welt ab: in dem kleinen Land Costa Rica, von den Einheimischen
liebevoll die „Schweiz Mittelamerikas“ genannt. Über die Organisation ICJA
und gefördert vom BMZ
(Bundesministerium für wirtschaftl. Zusammenarbeit und Entwicklung) durch das Programm ‚weltwärts’, wurde es mir
möglich, einen Freiwilligendienst in einer Schule für Kinder/Jugendliche
(0-21Jahre) mit besonderen Bedürfnissen zu absolvieren: Eine einzigartige
Erfahrung!
Hätte
man mich vor einem Jahr nach meinem Wunschprojekt gefragt, wäre ein Projekt mit
Menschen mit Behinderung für mich nicht erstrangig gewesen. Das aus einem
einfachen Grund: Zuvor hatte ich noch nie mit diesen besonderen Menschen
zusammenarbeiten dürfen und hatte somit einen großen Respekt davor. Ich wusste
nicht, wie die richtige Art und Weise war, diese Menschen zu behandeln, deshalb
bevorzugte ich ein Projekt mit Heim- oder Straßenkindern. Trotz allem fand ich
mich in genau einem solchen Projekt wieder und ich stelle fest: es ist das
Beste, was mir je passiert ist!
Ich
bin so unglaublich dankbar und schätze es sehr, so den Zugang zu Menschen mit
besonderen Bedürfnissen gefunden zu haben! Ich habe das Wissen und auch das
Vertrauen vermittelt bekommen, eigenständig mit den Kindern/ Jugendlichen zu
arbeiten und weiß jetzt auch, dass es ganz egal ist, wenn man mit diesen
Menschen zusammenarbeiten möchte, ob man weiß, wie man einem Kind eine Sonde
gibt oder was man für besondere Bedürfnisse beachten muss. All das lernt man im
Umgang mit Ihnen. Das wichtigste ist es einfach, offen und lernbereit zu sein
und alle respekt- und würdevoll zu behandeln!! Besonders diese wundervollen
Menschen haben oft ein sehr ausgeprägtes Gespür, dass sie wahrnehmen lässt, wer
sie mit Herzen behandelt oder sich um sie bemüht. So kann man seinen Zugang zu
diesen einzigartigen Menschen finden und besondere Beziehungen zu Ihnen
aufbauen!
Die
Arbeit in meinem Projekt hat mir aber nicht nur das Wissen über verschiedene
Arbeitsmethoden, die Alltagsbewältigung oder verschiedene Ausprägungen von
Behinderung gelehrt. Es hat mich zum Einen auch sehr viel empfindlicher für
viele Ausdrücke gemacht. So z.B. nicht von behinderten Menschen zu sprechen,
sondern von Menschen mit Behinderung oder noch besser: Menschen mit besonderen
Bedürfnissen.
So
ist jeder Mensch ist einzigartig, er unterscheidet sich von seinen Mitmenschen
durch die spezielle Zusammensetzung aus seinen Vorlieben, seinem Charakter, den
Ansichtsweisen, seinen Talenten etc. Was aber auch auch jeden Menschen
ausmacht, sind seine Schwächen. Den einen fällt es vielleicht schwer, sich
auszudrücken, andere empfinden eine bedrückende Angst, wenn sie sich in wenig
Platz aufhalten oder Skorpione sehen. Andere dagegen haben emotionale Probleme
oder tun sich schwer zu laufen und zu sprechen. Dennoch sind sie Menschen wie
du und ich, mit ihren Vorlieben und Abneigungen, ihrem Talent, ihren Stärken,
die eventuell aufgrund ihrer Schächen etwas mehr Unterstützung und Betreuung
benötigen, aber dennoch als ganze Person gesehen werden möchten.
Gleichzeitig
hat es mich auch zum Nachdenken gebracht über die vielen einzigartigen,
besonderen Unterschiede eines jeden Menschen. Ich empfinde eine große
Dankbarkeit und Wertschätzung für diese Vielfältigkeit, die uns tagtäglich
Neues von unseren Mitmenschen lernen lässt, aber auch grundsätzlich für das
Sein und für die etlichen Möglichkeiten, das Leben zu gestalten. Dankbarkeit
aber auch für all die Erfahrungen, die mir gelehrt haben, dass nichts unmöglich
ist, kämpft man mit Herzen, hat Geduld und gibt Unterstützung: So habe ich von
Personen erfahren, die ohne Arme und
Beine geboren werden, aber selbst Schwimmen und Kochen können; im Rollstuhl
sitzen, aber einen Marathon mitlaufen,..
Manchmal
muss man sich vielleicht nur von gewohnten Vorstellungen trennen und die
Ansicht-/ Angehensweisen anpassen; so lief der Junge, der den Marathon lief
z.B. nicht alleine, sondern zusammen mit seinem Papa, der ihn in überall in
Spezialstühlen mitnahm.
"Anders zu sein ist kein Problem; das Problem ist,
anders behandelt zu werden. – Stop der Diskrimination“
In
dem Projekt hatte ich auch die Möglichkeit viele Bereiche kennenzulernen. So
arbeiten wir Freiwillige mit unterschiedlichen Gruppen zusammen; Kindern mit
der Diagnostik von mentaler Spätentwicklung, multipler Behinderung oder mit
emotionalen Problemen. Dabei ist die Hauptaufgabe die Assistenz der Lehrer,
d.h. Unterstützung im alltäglichen Circulum, in der Pflege, Versorgung, bei
handwerklichen Arbeiten, Schulausflügen, Hausbesuchen, Festen etc.
Neben der Unterstützung der Klassenlehrer
arbeiten die Freiwilligen viel mit der Sportlehrerin beim Schwimm-, Tanz- oder
Gymnastikunterricht oder mit den Musik- und Kunstlehrern zusammen und haben die
Möglichkeit, die Kinder zu einzelnen Therapien zu begleiten (Physio-, Ergo-,
Sprach-, Pferdetherapie). Dies war für mich persönlich immer eines der
spannensten Aufgaben. Aufgrund vielfältiger organisatoischer Gründe konnte die
Pferdetherapie zwar nur zu einem kurzen Zeitpunkt angeboten werden, trotzdessen
war es eine sehr schöne, interessante Erfahrung.
Neben
der Schule befindet sich ein Rehabilitationszentrum mit integriertem Heim für
erwachsene Personen mit Behinderung. Es tat sich dort auch die Chance auf,
einmal wöchentlich bei einer Aikidostunde (Kampfsport) zu assistieren und
gelegentlich ebenfalls bei der Ergo- und Physiotherapie zuzuschauen. Das war
eine weitere Chance noch mehr besondere Menschen kennenzulernen und meinen
Horizont im Bereich der Therapien zu erweitern.
Zu
meinen Arbeitskollegen hatte ich insgesamt ein sehr gutes Verhältnis; da ich
mit sehr vielen unterschiedlichen Gruppen
eingeteilt war, arbeitete ich auch fast mit dem gesamten Kollegium
zusammen. Die Lehrer waren stets sehr dankbar über die Hilfe und meist auch
interessiert an meinem Wohlbefinden. Eine Person des Vertrauens hatte ich mehr
oder weniger. Mein Chef, der als für die Freiwilligen verantantwortliche Person
galt, war meist sehr beschäftigt und weniger interessiert an der Arbeit, die
wir ausführten. Dennoch war zu merken, dass er unsere Unterstützung schätzte
und bei Problemen oder Anmerkungen auch offen war für ein kurzes Gespräch.
Wie
oben schon erläutert war es zuvor nicht meine Intention mit Menschen mit
Behinderung zusammen zuarbeiten. Auch aus dem Grund, weil ich möglichst viele
Projekte selbst starten wollte, sei es Basteln, Motivationsspiele spielen,
Kochen, etc. und ich mir in diesem Sinne unsicher war, wie ich die Kinder/
Jugendlichen dementsprechend dabei behandeln musste.
Meine
Idee von den Projekten, hatte ich leider nur wenig umsetzen können in diesem
Jahr. Grund war, dass ich jeweils nur wenig Zeit mit jeder einzelnen Gruppe
verbrachte, aber auch, da die Lehrer meist schon ihre eigenen Projekte geplant
hatten bzw. da auch beim normalen Schulalltag, Essen, den Therapien etc. auch
nur wenig Zeit blieb.
Auch,
wenn ich mich nur wenig durch große eigene Projekte einbringen konnte, glaube
ich dennoch, dass ich als Freiwillige eine sehr entlastende Stütze war. Merkbar
schon, wenn ich einer Lehrerin half, die innerhalb einer halben Stunde fünf
Kindern Mittagessen geben musste.
Vielleicht
habe ich nicht Unmengen bewirkt oder Systeme verändert, aber ich werde auch
immer die vielen Kinderlachen in Erinnerung behalten, die mir aus den
strahlenden Gesichtern entgegenhallen, die Bitten der Kinder, mit ihnen zu
spielen oder die tränenfeuchten Augen eines Mädchens im Rollstuhl, wenn ich ihr
vorsang.
Schon
bei meiner Bewerbung für den Freiwilligendienst hatte ich einen bekannten
Spruch erwähnt, der auf der Berliner Mauer gestanden hatte und für mich ein
Leitsatz ist:
Wenn viele kleine Leute viele kleine Dinge tun, können
sie das Gesicht der Welt verändern.
So habe ich vielleicht keine Bäume ausgerissen während
meinem Freiwilligendienst, aber vielen Kindern/ Jugendlichen Zeit schenken
können, mich mit Ihnen zu beschäftigen und ihnen meine Liebe zu geben.
Neben der Arbeit hatte ich hier in Costa Rica natürlich
ein komplett neues Leben aufzubauen. Ich wurde in einer Gastfamilie
untergebracht und kann mich wahnsinnig glücklich schätzen mit der Familie. Wir
sind ein Frauenhaushalt, der aus meiner Gastmama, zwei Gastschwestern und das
letzte Jahr zusätzlich aus mir und einer anderen Freiwilligen besteht. Die
Familie hat uns schon am Flughafen begeistert und sehr offenherzig empfangen
und auch das gesamte Jahr über stets respektvoll behandelt und war interresiert
an unserem Wolbefinden.. Auch die gesamte Verwandschaft, die wir regelmäßig
besucht haben, hat uns liebevoll und mit großem Herzen aufgenommen und ich bin
dankbar und glücklich so ein zweites Zuhause auf der anderen Seite der Welt
gefunden zu haben; eine zweite Familie, die mich stets unterstützt und mich mit
offenen Türen empfängt.
In
meiner freien Zeit war ich so also mit meiner Gastfamilie unterwegs oder
probierte mich in neuen Sportarten etc. So fuhr ich regelmäßig mit dem
Mountainbike in die Berge, praktizierte Joga, Aikido oder Juguitzu oder traf
mich mit Freunden, Nachbarn etc.
Ich
hatte auch die Möglichkeit viele beeindruckende Orte Costa Ricas zu besuchen, einem Land, das eine
einzigartige Natur aufweist, und so auch durchaus Menschen aus sehr armen und
einfachen Verhältnissen zu treffen.
Wie
schon oben angedeutet wurde ich von meiner Gastfamilie stets unterstützt, aber
auch die Gastorganisation stand uns immer bei Bedarf zur Seite. Da ich sowohl
mit der Familie, als auch mit dem Projekt sehr zufrieden war, musste ich meine
Ansprechpartner nun selten um Rat oder Hilfe fragen, aber es wurde stets
betont, dass wir uns melden können, wenn nötig.
Das
Jahr im Gesamten war eine sehr intensive, tiefgreifende Zeit mit vielen Höhen
und Tiefen, Bereuen und Stolz, Angst und Zuversicht, einer wertvollen
Selbsterfahrung und unzähligen beeindruckenden Momenten.
DANKE
Costa Rica, für alles, was du mir gelehrt hast, die wundervollen Menschen, die
du mir vorgestellt hast und das Zuhause, das du mir geschenkt hast!
Ich
werde jetzt zwar am 19.8. nach Deutscland zurückkehren, aber all das wird für
immer in meinem Herzen bleiben!
Hannah
Seibold